Ich finde die Äußerungen von Sarrazin keinesfalls i. O. und finde es auch traurig, dass viele hinter seiner Meinung stehen.

Nach seinen Worten dürften sich weniger intelligente Menschen auch nicht mehr vermehren, weil die Gesellschaft immer dümmer wird. Kinder sollten von der 1. Klasse an in Ganztagsschulen untergebracht werden, damit der Medienkonsum eingeschränkt wird. Wäre es nicht besser, Kinder zu fördern, wo man merkt, dass das Elternhaus nicht viel macht und sie viel vorm Fernseher sitzen? Abgesehen davon ist unsere Gesellschaft auch nicht gerade kinderfreundlich geworden. Es gibt ja Menschen, die sich schon aufregen, wenn Kinder mit der Kreide auf dem Fußweg malen, nur weil sie die Kreide unter ihre Schuhe bekommen könnten. Oder wenn sich ein Kind mal einen Zweig Bachweide, die wuchert wie Unkraut, für einen Flitzebogen abmacht, dann ist das auch gleich ein Verbrechen.

Ich habe zum Glück kein schulpflichtiges Kind, aber wenn, dann würde ich schon selber über dessen außerschulische Aktivitäten bestimmen dürfen. Schuluniformen finde ich auch Blödsinn, denn die machen die sozialen Unterschiede auch nicht weg. Normalerweise interessieren kleinere Kinder auch noch keine sozialen Unterschiede. Da könnte man ansetzen und einen starken Klassenzusammenhalt formen, der später dann hilfreich ist. Aber das interessiert heute wohl kaum einen Lehrer. Die Stunden werden abgesessen und fertig.

Oder Hartz 4 Empfänger sollen im Winter einen Rollkragen-Pullover tragen. Mit solchen Äußerungen schneidet er für mich in die Grundrechte der Menschen ein - die wären: warmes Wasser, Wärme im Winter, Strom, ein Dach über dem Kopf. Es ist Fakt, dass es nicht genügend Arbeit für alle gibt, deswegen darf auch nicht so über Menschen gesprochen werden.

Egal was er anspricht - ob Bildungssystem, Sozialsystem oder Ausländer - all das sind gesellschaftliche Probleme, für die kein einzelner Mensch etwas kann und wo solche Äußerungen einfach nur erbärmlich sind. Mich macht es traurig, dass er so viel Befürworter gefunden hat und ich befürchte, dass seine angesprochenen "Menschengruppen" noch mehr diskriminiert werden.

Ich finde, dass diese ganze verlogene Politik das Pferd immer nur von hinten aufzäumt. Das fängt doch mit dem Bildungssystem schon an, was in meinen Augen einfach nur schrecklich ist. Ich komme aus dem ehemaligen Osten und durfte noch ein anderes, viel besseres Bildungssystem, kennenlernen. Ein Bildungssystem, wo die Kinder nicht schon in der 4. Klasse in die Töpfchen - Gymnasium, Realschule, Hauptschule - aussortiert wurden, sondern wo jedes einzelne Kind gefördert wurde.

In diesem Bildungssystem dagegen hat mir mal eine Lehrerin ins Gesicht gesagt, dass sie Schüler fürs Gymnasium vorbereiten muss und sich nicht um sowas kümmern kann, nur weil mein Sohn eine Zeit lang nie seine Hausaufgaben ins Heft eingetragen hat und ich gefragt habe, ob sie das nicht mal kontrollieren könne.

Mein Sohn hat sich irgendwann gefangen. Aber viele Kinder können es nicht, aus was für Gründen auch immer. Entweder weil sie in der Schule gemobbt werden, sie in falschen Kreisen stecken, das Elternhaus nicht stark genug ist, sie einfach noch nicht selber wollen usw. Diese Kinder werden hier einfach fallen gelassen, obwohl sie manchmal nicht dümmer sind als andere Kinder. Was haben sie ihr Leben lang gelernt? Sie waren die "Blöden" in der Grundschule, um die sich nicht gekümmert werden muss. Sie wurden in den schlechtesten Topf als Loser sortiert. Na toll - und dann will man irgendwann ein Selbstbewusstsein verlangen, dass sie einer geregelten und guten Ausbildung nachgehen, sich dem harten Arbeitsleben und teilweise rauem Umgangston stellen können?

Wenn ein Politiker meine Stimme bekommen sollte, dann müsste er an die Ursachen gehen. Aber scheinbar ist ein gutes Bildungssystem nicht gewollt, Vorbildländer gibt es ja einige. Es ist halt einfacher zu sagen, du bekommst keine Lehrstelle, weil du in der Schule schlecht warst. Und ohne Ausbildung bekommst du keinen Job, also bist du ein Sozialschmarotzer. Das ist einfacher zu sagen, als - alle Kinder zu fördern und zu sagen es gibt nicht genügend Arbeit für alle. Unser System liegt finanziell am Boden, wir haben jahrelang missgewirtschaftet. Man will sich noch etwas "Schein des reichen Deutschlands" auf Kosten der Verlierer dieser Gesellschaft bewahren.

Ohne mich - ich werde die Äußerungen von Sarrazin nicht i. O. finden, solange es dieses Schulsystem gibt, es nicht genügend Arbeit für alle - auch für kranke Arbeitslose - gibt und solange Ausländer nicht vernünftig integriert werden. Damit meine ich das Lernen und alltägliche Sprechen der deutschen Sprache, man lebt halt in diesem Land. Und das Integrieren einzelner Ausländerfamilien in vorrangig deutschen Wohnsiedlungen - schon allein wegen den Sprachkenntnissen.

Sicher gibt es leider noch solche Dinge wie Ehrenmorde, Zwangsheirat und Beschneidung. Zwangsheirat ist eigentlich in den meisten Religionen ein Thema. Dagegen kann man nur aufklären. Beschneidung und Ehrenmorde sind Straftaten und müssen hart bestraft werden wie jedes andere Verbrechen.

Es müssen einfach klare Grundlinien gezogen werden, versucht werden, die Fehler dieser Gesellschaft zu verbessern - nur das gelingt nicht mit Sarrazins Äußerungen, die im Gegenteil noch mehr diskriminieren.

Liebe Grüße
Elke

Hallo Ellilein,

erst Mal großen Respekt, dass du so offen über die schulischen Probleme schreibst. Das machen so viele Eltern durch, aber nur wenige geben es zu. Ich habe vor ein paar Jahren auch mal über schulische Probleme meines Sohnes geschrieben und wurde auch direkt angegriffen. Wer das nicht durch hat - derjenige hatte auch erst ein 2-jähriges Kind - kann es auch nicht verstehen.

Die Jungs sind nicht zu blöd, sie sind bei weitem auch keine schlechten Menschen, wir Mütter können sonstwas anrichten, erreichen aber doch nicht viel. Ein Kind muss selber wollen, das ist einfach so. Als Eltern redet man in schlimmen Phasen auch nur gegen eine Wand. In so schlimmen Phasen könnte es nur helfen, wenn Elternhaus und Lehrer richtig zusammenarbeiten (aber die wenigsten Lehrer machen das heute noch) und wenn Hilfe über Mitschüler kommt, denn zu denen haben sie meistens einen "besseren Draht". Nur diese Hilfe gibt es heute auch nicht mehr. Bei uns wurde das noch durch die Lehrer dirigiert - da musste eben ein leistungsstarker Schüler nach der Schule einem leistungsschwachen Schüler helfen. Und es hat in allen Fällen geholfen.

Es gibt ja auch die berühmten Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen. Wenn ich meine Nichte so sehe, die heult sofort, wenn etwas falsch ist und ärgert sich ganz doll über eine 2. Meinem Sohn wär das aber 10 x am Ar... vorbei gegangen.

Mit meinem Bruder hat damals als Kind der Weihnachtsmann auf einer Betriebsfeier "geschimpft", dass er doch der Junge ist, wo die Hefte aussehen, als ob ein Huhn drüber gelaufen ist. Ja, das Einzige, was der Weihnachtsmann erreicht hat, war, dass mein Bruder sich halb kaputt gelacht hat. Meine Nichte hätte da wohl geheult und ich hätte mich als Kind auch geschämt. Aber mein Bruder und mein Sohn.

Meine Nichte lernt fleißig, sie ärgert sich, wenn eine Mitschülerin mal besser ist. Ich habe auch gern mal Zusatzaufgaben für die Schule gemacht. Weil dafür gab es entweder ein tolles Bienchen, ein Lob oder eine gute Zensur. Nur für meinen Bruder und meinen Sohn waren Zusatzaufgaben die größten Straftaten, die man in der Schule hätte begehen können. Obwohl mein Sohn fast 20 Jahre jünger als mein Bruder ist und nie den Spruch von meinem Bruder gehört hat, hat er denselben Spruch in der Grundschule auch benutzt: Wir dürfen keine Zusatzaufgaben machen, sonst bekommen wir Ärger mit den Lehrern.

Naja, jedenfalls wollte mein Sohn nie so richtig von allein zu viel für die Schule tun. Er hatte in der Grundschule aber noch super Noten, weil ich mich richtig dahinter geklemmt habe. Mit 9/10 Jahren war er sogar als Jüngster in der Big Band der Kreismusikschule, wo sogar Lehrer mitgespielt haben.

Ab der 5./6. Klasse fing er dann an, schlauer als ich sein zu wollen. Er schrieb z. B. keine Hausaufgaben mehr ins Heft ein, erzählte mir, dass sie keine aufhaben. Es kamen immer die besten Ausreden. Naja, bis ich irgendwann zur Lehrerin musste und sie mir sagte, dass er die meisten Hausaufgaben nicht macht und dafür jedes Mal schlechte Zensuren kassiert. Die sagte mir dann auch ins Gesicht, dass sie sich nicht darum kümmern kann, dass er sie einträgt, sie habe Schüler fürs Gymnasium vorzubereiten.

Er wurde fallen gelassen, ihn interessierte das damals nicht so, weil Schule eh hinter allem anderen kam - Ergebnis war, ab 7. Klasse durfte er zur Hauptschule.

Da begann richtig das Chaos. Und als Oberclown mittendrin ein Lehrer, mit dem ich nur auf Kriegsfuß gestanden habe. Fast jeden Tag klingelte mein Telefon und das Rumpelstilzchen regte sich echt über Banalitäten auf. Zusätzlich führte er ein Heftchen, wo alles über die Schüler gut vermerkt war. Wer sich mal umgedreht hat, wer einen Schluck getrunken hatte, wer geraucht hat usw. In regelmäßigen Abständen kam es zu Klassenkonferenzen, die mich dermaßen aufgeregt haben. Als ob man als Lehrer und Eltern gemeinsam keine besseren Lösungsmöglichkeiten wüsste. Aber diese Konferenzen waren eben sein Hobby. Irgendwann war ich so weit, dass ich ihn zurück geärgert habe. Mich haben die Klassenkonferenzen angestunken, ich konnte aber nichts gegen sein Hobby ausrichten. Also habe ich gesagt, dass ich um die Mittagszeit keine Zeit habe, ich könne erst ab 16.00 Uhr. Sollen die Lehrer doch von zu Hause noch mal zur Schule anrücken, wenn sie nicht anders mit den Eltern zusammen arbeiten können. Wenigstens hatte ich die Freude, dass der Lehrer sich auch ärgert.

2 Jahre musste ich diesen Horror mitmachen, bis mein Sohn dann die 8. Klasse auch wiederholen musste. Und ehrlich gesagt, was besseres konnte nicht passieren. Er bekam eine neue Klassenlehrerin und neue Klassenkameraden. Von da an hatte er sehr gute Leistungen. In der 9. Klasse machte er seinen erweiterten Hauptschulabschluss, konnte die 10. Klasse Realschule machen und verließ diese mit dem erweiterten Realschulabschluss.

Allerdings war ich froh, dass er aus der 10. Klasse war, weil sein Ehrgeiz wieder sank. Seine erste Ausbildung in der Metallbranche brach er ab. Heute weiß ich, dass das einfach nichts für ihn war. Dann hatte er ein Jahr gar nichts, nur eine Deppenschule vom Arbeitsamt als Lehrstellen-Abbrechender. Da kam es auch zu einigen Problemen.

Und nun hat er eine Ausbildung, die ihm richtig Spaß macht. Er lernt jetzt Kaufmann im Einzelhandel. Er hat sehr gute Zensuren, macht seine Arbeit gut und voller Freude.

Ich muss sagen, dass ich genau für solche Kids ein Herz habe (auch wenn einem als Eltern oft der Geduldsfaden reißt). Obwohl sie nicht dumm sind, gehen sie teilweise einen katastrophalen Schulweg. Aber weil es nie einfach nur "Mitläufer" waren, enden sie nicht selten im Leben auf guten Posten.

Nun zurück zu Sarrazin, für den die Gesellschaft verdummt, der schlecht über Menschengruppen redet. Für mich ist und bleibt das ein gesellschaftliches Problem, denn z. B. hat mir Toby gestern ein schönes Video über Dänemark gezeigt. Die Dänen sind die glücklichsten Menschen der Welt. Und warum? Weil sie sich sicher fühlen, keine Überlebensängste und einen guten Lebensstandard haben. Ihr Schulsystem ist auch viel besser als unseres.

http://www.youtube.com/watch?v=lsuHeeZdv...player_embedded

Das bestätigt wieder meine Vermutung, dass unser miserables Schulsystem so gewollt ist. Es herrscht eine große Arbeitslosigkeit, für alle gäbe es keine Arbeit, auch wenn alle ein 1er ABI hätten. Deswegen werden die Schüler rechtzeitig aussortiert und die Leistungsschwachen dann regelrecht fallen gelassen.

Vor fast 10 Jahren war ich beim Schulamt, weil ich mich aufgeregt habe, dass mein Sohn zur Hauptschule kommen sollte. Wie gesagt, mit diesem Schulsystem stand ich immer auf Kriegsfuß. Der Schulrat sagte mir damals schon, dass darüber diskutiert wird, das dänische Schulsystem hier einzuführen, was er und auch der Schuldirektor auch für besser hielten. Nur passiert ist bis heute nichts, an PISA kann es nicht liegen.

Sarrazin greift hier Menschengruppen an, die eine soziale Geborgenheit/Sicherheit nie gespürt haben, auch im Elternhaus nicht. Viele Menschen haben nun mal Angst um ihre Arbeitsplätze oder sind deprimiert, wenn sie ihren verloren haben und keinen vernünftigen Job mehr finden. Im Fernsehen werden die zur Show gestellt, die sich über ihr Arbeitslosenleben freuen, aber über die Menschen, die sich sogar deswegen schon umgebracht haben, wird nicht berichtet.
Heute wird mehr als denn je am Arbeitsplatz gemobbt. Auch das bekommen die Kinder zu Hause durch unausgeglichene Eltern zu spüren. Nur man braucht das Geld, weil die Lebenshaltungskosten auch gestiegen sind.

Jedenfalls sind dänische Babys nicht anders als deutsche Babys. Nicht dümmer und auch nicht klüger. Nur werden dänische Kinder von einer sicheren Gesellschaft und Elternhaus geprägt, wogegen deutsche Kinder die Unsicherheiten täglich zu spüren bekommen. Statt sich der Staat und die Schulen diesen Problemen unserer Gesellschaft annehmen und sich besonders um die Kinder kümmern, werden sie fallen gelassen.

Resultate sind dann keine Schulabschlüsse, keine Ausbildungen, kein Job, kein Geld, zu viel Zeit, zu viel Dummheiten im Kopf, Kriminalität.

Du hast es mit diesem einen Satz perfekt getroffen:

Zitat

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Die Jugend ist immer nur so gut wie ihre Gesellschaft zu ihr ist!

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Und es ist nun mal so, dass ab einem bestimmten Alter die Kinder mehr von der Gesellschaft als vom Elternhaus geprägt werden. Das liegt allein schon an der Pubertät, wo man als Eltern sinnvoller mit einem Baum spricht.

Wir kennen unsere Jungs, wir wissen, dass sie nett, lieb und auch schlau sind. Halte weiter so zu deinem Sohn, denn wenn nicht du, wer soll sonst in dieser Zeit zu einem Kind halten. Ich drücke euch die Daumen, dass er in der neuen Schule wirklich glücklich wird und sich die guten Zensuren halten.

Übrigens, die Tochter einer Lehrerin, die sich mal über das Verhalten meines Sohnes aufgeregt hat, war mal bei meiner Mutti im Laden. Weil es ihr nicht schnell genug ging, fing sie genervt an, mit den Fingern auf der Ladentheke zu trommeln. So unhöflich wäre mein Sohn nie. Und auch wenn es manche Lehrer nicht wissen wollen, aber ihre Kinder sind nicht besser, nur hinterhältiger.

Liebe Grüße
Elke