Geschichten über *Gerhard46*



Gerhard war bei mir Morgens beim Kaffeetrinken und hat mir von seiner Geburt im Internet und seinen Erlebnissen erzählt.
Seither meldet er sich alle paar Tage einmal und erzählt mir immer was von seinem Chatraum .
Er ist ein netter Kerl, wirklich. Er verlangt nicht viel Aufmerksamkeit, aber er hat es gern, wenn man ihm zuhört.
Deshalb schreibe ich seine Geschichten hier auf.
Seine Geschichten sind alltäglich, nichts besonderes.
Aber ich, Christina, seine Nachbarin,, erzähle sie Euch gerne .

Eigentlich ist er ein Chatter wie Du und ich.
Man vergißt nur so leicht, wie es am Anfang war und welche Fehler man gemacht hat und ... und...

Geburt und 1. Lebenstag im Internet :

Als der Gerhard geboren wurde , war er 58 Jahre alt.
Für Chatter ist das ein ungewöhliches Geburtsalter, fast schon ein bißchen zu alt.
Aber Chatter werden eben zu unterschiedlichen Zeiten geboren. Als der Gerhard noch gar kein Chatter war, hatte er auch schon einen PC und konnte auch seine Programme anwenden, aber eines Tages hörte er von einer neuen Sache,
die "In" wäre: *Die Chaträume.*

Viele seiner Freunde redeten von heißen "Chats", die sie im Internet gehabt hatten und von "Blind Dates", die alle natürlich auf die gleiche Art ausgingen.
Unser Gerhard meldete sich bei AOL an und kaufte ein Dutzend Internet-Zeitschriften.
In einer der Zeitschriften las er über Chats und über den größten und besten: Chatraum 60/33 bei AOL .
Er tippt die Adresse langsam ein ... Chatraum AOL murmelt er die Buchstaben mit.
Er hangelt sich durch die Einführung und schließlich landet er bei der Registrierung.

Ein Nickname. Himmel, was nimmt man da?
Er versucht seinen Vornamen - gibt es schon, sagt die AOL Service . Vorname mit Alter? - auch schon.
Die AOL Service ist unerbittlich. Schließlich fällt ihm was schönes ein und er registriert sich als *Gerhard46*

Der Computer wirft ihn im Chatraum AOL ab.
"22 Chatter online" verkündet das Eingangsbild. "Schnell ab in den Chat" Es dürfen nur 23 User rein .

Erstmal sieht der *Gerhard46* staunend zu und liest sich durch die Onlineliste.
Diese Namen furchtbar! "GeilerHengst" , "Doofi" , "Schnapsdrossel" , "ScharfeLola" , "Massagegirl" , u.s.w. Er ist froh das er den Namen *Gerhard46* ausgewählt hat .

Dann folgt er der Unterhaltung. Manches ist ziemlich albern, ein paar Zweideutigkeiten.
Jemand erzählt einen Witz, aber den kennt der *Gerhard46* schon. Die meisten anderen Chatter auch, wie er an den Kommentaren sieht. Nach dreimal Hingucken ist ihm auch die Bedeutung der Smileys klar, jedenfalls meistens.

Bis sich jemand namens "Berta123" einloggt und alle mit "Hallo ihr Alten" begrüsst .
Was soll das denn jetzt heißen?

Plötzlich erhält er eine e-Mail ...
"Na Kleiner, neu hier?".
Und jetzt? Was antwortet man darauf?

Der *Gerhard46* hat vor Aufregung feuchte Hände, tippt drei Buchstaben,
löscht sie wieder. Äh - privat, wie war das noch? Ach ja, Nicknamen anklicken. Und wer hatte denn da geschrieben?
- Zurückscrollen, Namen suchen. "Berta123".
Wieder ans Ende, damit er den Chat nicht verpasst.
Und was schreiben? Halt, erst "Berta123" anklicken. Ja, das geht. Jetzt schreiben.
Geht nicht - ach, doch, erst wieder mit der Maus auf den Nicknamen klicken.
Was schreibt man jetzt? Was intelligentes, nicht zu sehr, aber es muß doch Eindruck machen.
Aber wenn es ihr zu abgehoben ist? Er schreibt. löscht. schreibt. löscht.
Schließlich entscheidet er sich und tippt: "Ja". und klickt "abschicken"
Er schaut wieder in das Telefenster, seine "Ja" müßte jetzt dort auftauchen. In rot, das macht Eindruck .
Da kommt die Meldung: "Berta123" ist nicht mehr online".

Immerhin kann er heute abend seinen Freunden erzählen, er sei von einem Mädchen angebaggert worden. Zufrieden beendet der *Gerhard46* seinen ersten Lebenstag im Chat und schaltet den PC aus.

2. Lebenstag :

Der *Gerhard46* kommt von der Nachbarin und wirft sofort den PC an.
Gestern war er ja nicht so erfolgreich, aber irgendwann muß es doch klappen...
Log-in , Nickname und Passwort eingegeben. Ab in den Chat. Er hat schon was gelernt, jetzt begrüßt er alle freundlich "Hallo , zusammen".
Antwort bekommt er natürlich nicht, und "Berta123" ist auch nicht online.

Etwas frustriert sieht er wieder den anderen zu.
Ein paar Mal versucht er, einen weiblich klingenden Nick anzusprechen, und nach einigen Versuchen ist er erfolgreich, sie grüßt zumindest zurück und fragt gleich ob er eigenen Besitz hat .
Langsam tastet er sich nach vorn, schreibt ihr : "Suche reiche Frau mit Haus , Auto und Pool !"
Aber er muß lange auf die Antwort warten . Sie schreibt ihm zurück :"Arschloch". Es kommen immer mehr Leute und der Chat wird ziemlich langsam, außerdem wiederholen sich Teile des Chats einige Male : "Hallo" und "Tschüss"

Unser *Gerhard46* ist ein wenig genervt und tippt ganz mutig an die Allgemeinheit: "Ich bin neu hier, kann mir jemand sagen, warum das hier so langsam geht?". Keine Antwort. Er schickt es noch einmal. Oh, doch eine Antwort. Die "Gabi" schreibt:
*Gerhard46*, Einfach Alt+F4 drücken, dann geht es schneller."
Der *Gerhard46* bedankt sich artig :
"Gabi , danke dir!" ,
dann drückt er die Tastenkombination - und steht wieder im Windows.

Chat ist aus, Explorer ist aus. Totaler Absturz.

Erst da fällt ihm ein, daß diese Tastenkombination generell die Programme beendet.
Das hätte ihm doch auffallen müssen!
Er schimpft sich selbst einen Esel und startet wieder von vorn.
Computer ein , AOL ... Log-in.
Und was steht dort:
"Chatraum AOL , voll"
Fluchend schwört sich der *Gerhard46*, nie, aber auch nie wieder einen Fuß in den Chatraum zu setzen und schaltet den PC aus.

3. Lebenstag - erste Chatliebe :

Eine Woche hat sich der *Gerhard46* nach der Enttäuschung zurückgehalten.
Aber schließlich landet er doch wieder im Chatraum AOL , begrüßt die Anwesenden und erhält (wie immer) keine Antwort.
Er weiß aber längst, daß nur den Stammchattern geantwortet wird,
und deshalb macht es ihm nicht ganz so viel aus und er liest sowieso nur mit.

Plötzlich sieht er, daß sich "Berta123" einloggt, er wird ganz nervös, aber er weiß, wenn er sie zu früh anspricht, sieht sie es vielleicht noch nicht, weil sie vorher ihre Mails liest oder von anderen angesprochen wird.
Mühsam beherrscht er sich zwei Minuten.
Sie wirft ein lässiges "Hallo" in den Chat,
bekommt keine Antwort und der *Gerhard46* sieht darin seine Chance.

Eine Tele an "Berta123": "Hallo, wie geht es dir?".

Es ist getan! Er hat sie angesprochen!
Mit Herzklopfen beugt er sich vor, die Nase dicht am Bildschirm.
Wird sie antworten?
Eine Minute, zwei Minuten.
Da!
"Hallo, Gerhard46 . Schön dich zu sehen."
Der *Gerhard46* schlägt sich vor Freude auf die Schenkel ...
sie hat geantwortet! Ihm !
Eifrig tippt er zwei Fragen an sie -
er weiß nicht, daß gerade diese Fragen absolut ausgeleiert sind
und daß sie jede Frau im Chat nerven -
die Fragen brennen ihm auf den Nägeln,
und so fragt er sie nach Name und Wohnort.

Die Antwort fällt anders aus, als er erhofft hat:
"manno, immer die gleichen blöden Fragen"
und "Berta123" scheint in unerreichbare Ferne gerückt.
Der *Gerhard46* ist verzweifelt.

Jetzt braucht er eine Idee,
aber sein Gehirn scheint sich verflüssigt zu haben... was tun?
Er liest, was die anderen so öffentlich in den Chat schreiben...
meist wird geknuddelt, aber das scheint ihm dann doch zu gewagt zu sein.
Dann loggt sich "Masseur" ein, und wird von allen Seiten bestürmt . Alle Frauen *knuddeln* ihn .
der *Gerhard46* hat eine Idee :

An "Berta123 :
"Würde gerne zu Dir kommen und Dir eine Ganzkörpermassage machen !"
Die Antwort läßt auf sich warten, *Gerhard46* kaut auf seinen Nägeln.
Da, die Antwort:
"das ist ja toll ... *knuddel*".
Sie hat ihn geknuddelt ! Er kann es nicht fassen...
Aufgeregt tippt er weiter und sie antwortet weiter, es ist zu schön um wahr zu sein.
Dann sagt sie, sie habe keine Zeit mehr, und ob er morgen zur gleichen Zeit wieder hier wäre.
Er verspricht es ihr und schaut zu, wie sie den Chat verläßt.
Und auf Wolken schwebend beendet er ebenfalls den Chat.

Er hat seiner Nachbarin heute abend viel zu erzählen,
schließlich ist sie jetzt "Berta123" "sein" Mädchen.

Der 4. Tag :

*Gerhard46* schaltet den PC ein.
Er weiß ja immer noch nicht, wie "Berta123" wirklich heißt und wo sie wohnt.
Aber er hat den ganzen Tag an sie gedacht und in seinen Gedanken ist sie wunderschön.
Auch jetzt seufzt er verklärt, als er an sie denkt.
Sie ist noch nicht da.
Er schaut auf die Uhr - eigentlich ist das doch ihre Chatzeit?
Naja, um die Zeit nicht allzu lang werden zu lassen, spaziert er ein bißchen in den AOL Seiten herum.

Er geht wieder in den Chat, aber "Berta123" ist immer noch nicht da.
Er wird unruhig.
Ob sie einen Freund hat?
Oder einfach nur so nicht da?
Es kann ja so vieles dazwischen kommen.
Er zählt innerlich alle Möglichkeiten auf, sie sind alle akzeptabel, aber er hat doch richtig Sorge, daß sie schon in festen Händen sein könnte.
Chatten macht auch so keinen Spaß, trotzdem er gerade von einer "Kerstin" angesprochen wird, aber er ist einfach nicht richtig bei der Sache.
Er verläßt den Chat.

Der " DiggerBube" und das große Chattertreffen :

Als der *Gerhard46* den Hinweis auf das Chattertreffen in Mannheim sah,
faßte er sofort den Entschluß, auch daran teilzunehmen.
Und vor allem: wenn "Berta123" ihn auf der Liste sähe, würde sie vielleicht auch kommen...
So ließ sich *Gerhard46* bei "Doris" registrieren und nach einigen Rückfragen, z.B. ob die 55 Euro für Sie oder für das Essen seien oder ob das Essen in im Hotel extra bezahlt werden müßte und was wäre wenn er gar nicht essen wollte und wie das mit dem Hotelzimmer sei.
"Doris" verwies ihn freundlich, aber bestimmt nach der dritten Anfrage an "Ulrike",
die für ihn das Hotelzimmer buchte und ihm sicher bestätigte, daß sein Realname auch wirklich geheim bleibe, ebenso wie seine Adresse und Schuhgröße.

Nach weiteren zwei Mails wußte er auch, daß er keine Handtücher mitbringen brauchte
und daß das Frühstück im Preis inbegriffen wäre.
*Gerhard46* freute sich mächtig auf das Treffen und kontrollierte jeden Tag die Anmeldeliste nach "Berta123".

Aber dann war die Anmeldefrist herum, aber keine *Berta123* stand auf der Anmeldeliste.

Der große Tag ist da ! :

Freitag , 3. Juli 2008 , sechzehnuhrfünfundzwanzig: *Gerhard46* betritt das Foyer des großen Hotels und fragt ein wenig schüchtern nach seinem Einzelzimmer.
Es ist auf dem gleichen Flur, wie der Saal, das hört er gleich und außerdem hört er einige Frauen kichern.
Verstört bringt er erst einmal sein Gepäck ins Zimmer.
Richtig, Handtücher sind auch da, obwohl er vorsichtshalber doch eines mitgebracht hat.
Naja. Er kämmt sich nochmal die Haare, schaut, ob er keine Speisereste an den Zähnen hat und ob er Geld und Zigaretten eingesteckt hat.
Dann taucht er sich noch einmal heftig in sein After Shave und verläßt,
eine Wolke des Wohlgeruchs nach sich ziehend, das Zimmer.

Noch immer Frauengelächter auf dem Flur. Er schluckt, aber er muss ja dran vorbei.
Drei stehen vor dem Eingang , vor sich auf einem Tisch etliche bunte Namensschilder liegend.
Sie fragen nach seinem Namen , *Gerhard46* stellt sich vor und die eine, die blonde, kommt sogar auf ihn zu und befestigt den Namensschild direkt an seinem Hemd.
Das macht ihn nervös, vor allem, weil die anderen ständig von "poppen" reden.
Aber es geht gut , außer daß "Christel" von seinem After Shave niesen muß.
Vielleicht war es doch zu viel.

Im Saal herrscht buntes Treiben. In erster Linie sieht man Leute,
die sich mit schräggestelltem Kopf auf den Brustkasten sehen.
Namensschilder lesen. Einige kommen auf ihn zu, lesen seinen Namen und sagen "komisch, noch nie gesehen im Chatraum 60/33 ..."
und drehen sich sofort wieder weg. Aber ein paar freundlichere gibt es auch.
Nur wenn sie ihn nach seine Zugehörigkeit zu AOL fragen, wird es schwierig.

Bei seiner Angabe "ein paar Wochen", lächeln sie und drehen auch schnell wieder ab.
Es stört ihn. Beim nächsten Mal sagt er: "Ja so ein paar Jahre" und siehe, er kommt schon besser ins Gespräch.
Zur Not kann er sich immer herausreden, er würde zu ganz anderen Tageszeiten chatten.
Eine hat einen Hund mit, das ist "Uschi" das gefällt ihm. Das Tier verläuft sich in die Küche und wird von einem mürrischen, affektiert redenden Kellner wieder hinausgeworfen.
Der *Gerhard46* setzt sich an einen freien Tisch im Saal und betrachtet die Leute.

Sehr gemischte Gesellschaft, da sind doch tatsächlich Leute um die 70 dabei... das hätte er nicht gedacht.
Er hat sich alle Chatter immer jünger und schöner vorgestellt,
aber hier sieht es eher aus, wie auf einer Seniorenfeier im Altersheim .
Einige Chatterinnen tragen Miniröcke (das ist ja etwas gewagt in dem Alter), einige tragen noch kürzer als Mini und er starrt verlegen woanders hin . (die hemmungslosen Weiber!)
Alle Leute scheinen sich durcheinander zu bewegen, also geht er auch ein wenig herum, ebenfalls mit schräggelegtem Kopf, um die Nicknamen zu lesen.

"Alon" - die Rekordhalterin der Onlinezeit.
In seiner Vorstellung war das immer eine schöne Frau, mindestens 1.71 groß, grosse Brüste ,
naja, einen Teil seiner Vorstellungen muß er eben revidieren.
"Bruni" - das ist die, die ihm immer hilft, wenn er nicht weiter weiß.
Sie schaut so lieb aus und sie spricht sogar mit ihm.
Jetzt gefällt es ihm schon besser hier. Das Essen in Mannheim geht gerade so , Würstchen mit Brot und gemischtem Salat .
Als die meisten Chatter satt sind, wollen einige tanzen und räumen Tische zur Seite.
Der *Gerhard46* tanzt nicht gerne, er sieht dabei immer so unbeholfen doof aus ,
aber er schaut auch gerne zu.

Plötzlich entsteht ein riesiger Trubel und er sieht, wie eine Frau auf einen Tisch gehoben wird - stimmt, jetzt fällt es ihm ein, man hatte ja Tabledancing angekündigt.
Voller Vorfreude drängt er sich nach vorne, aber die "Maxi" springt gerade in diesem Moment unter Blitzlichtgewitter vom Tisch.
Der Einsatz war wohl doch nicht geplant, schade.
Im Laufe des Abends wird viel getrunken, auch der *Gerhard46* trinkt einige Bierchen
und unterhält sich danach sehr angeregt mit einigen Chatterinnen und manchmal auch mit Chattern.
Den DJ "Paule" findet er voll in Ordnung, der ist echt professionell und der *Gerhard46* schaut ihm bewundernd zu.
Wow - so ein DJ in seinem Heimatort und er würde sich nie wieder nach der Großstadt sehnen.

Die Stimmung wird immer besser, feuchtfröhlich und manchmal erwischt er auch einen heimlichen Schluck aus der heimlichen Tequila-Flasche, die unter den Tischen kursiert.
Und kleine Feiglinge, die mühsam und geheimnisvoll vor den Kellnern versteckt
und dann von allen in der Runde lautstark auf den Tisch geklopft werden...
Die Kellner stellen sich blind und vor allem taub und so gibt es keinen Ärger.

Bis spät in die Nacht feiern die Chatter, aber so gegen drei fällt *Gerhard46* in sein Bett, von der Feier hört er kaum etwas, er ist viel zu angetrunken.
Aber es hat ihm gut gefallen, denkt er beim Einschlafen.

Wenn nur "Berta123" hier gewesen wäre....
Am "Morgen danach" sitzt ein Großteil der Chatter im Frühstücksraum, alle ohne Namensschild .
Keiner kennt keinen, und irgendwie sehen alle anders aus... das Licht ist erbarmungslos und scheint auf Augenringe, blasse Gesichter und schwere Lider , Essensflecken auf der Kleidung .
Kollektivgähnen und nur leise Unterhaltungen.

*Gerhard46* findet nette Aufnahme an einem Tisch, obwohl er nicht einen einzigen Chatter daran mit Namen nennen könnte.
Aber das ist nicht so wichtig, der Kellner mit dem Kaffee ist viel wichtiger...
Die Kellner sind übrigens die gleichen wie am Abend und von denen sieht auch keiner besser aus als die Chatter.

Gefrühstückt wird bis gegen 13.00 Uhr, dann ist Aufbruchstimmung.
Alle wünschen sich gute Heimfahrt, knuddeln sich noch mal herzlich,
und *Gerhard46* bekommt auch ein paar Knuddel ab,
weil ja keiner weiß, daß er noch kein Stammchatter ist.
Aber er nimmt sich ganz fest vor, einer zu werden.
Jawohl!

Gerhard und die Liebe :

Nach vielen Wochen und Monaten im Chat und nach der Vereinbarung mit der Nachbarin , die Telefonrechnung künftig selbst zu zahlen, nach ca. 200 Gesprächen und ebensovielen E-Mails mit "Berta123" hat es *Gerhard46* endlich geschafft: sie will sich mit ihm treffen!
Er wohnt in Heidelberg , sie wohnt in Frankfurt .
Das heißt sparen, vor allem , weil das meiste Geld für die Telefonrechnung draufgeht.
Aber schließlich ist der große Tag da und *Gerhard46* sitzt im Bummelzug Richtung Frankfurt . 1 Stunden dauert die Fahrt. 1 Stunden überlegt er, wie "SIE" aussehen mag, denn Fotos wollte sie nicht austauschen.

In seinem Kopf ist sie zu einer Mischung zwischen Claudia Schiffer und Dornröschen geworden, schön, elegant, groß und einfach umwerfend.
*Gerhard46* ist in sein eigenes Bild von "Berta123"" so verliebt,
daß er sich nicht auf seine Hefte von Beate Uhse konzentrieren kann.

Er träumt von ihr, von der Begegnung und ziemlich viel, wie dieses Wochenende ausgeht und daß er das Hotelzimmer vielleicht gar nicht braucht oder auf Doppelzimmer umbuchen muß.
Er überlegt sich, wie er sie mit zu seinen Freunden nimmt und ihn alle bewundern,
daß er diese Schönheit aus dem Internet gefischt hat.

Berta heißt sie. Ach , Berta ...
Frankfurt Hauptbahnhof.
Sie haben sich am Bahnsteig verabredet, ganz vorn, wo die Lokomotive steht.
Sein Platz war in der Mitte des Zuges, also muß er noch ein wenig nach vorn laufen.
Er ist aufgeregt und hat gleichzeitig Angst, daß er ihr nicht gefallen könnte. Seine Hände sind ganz verschwitzt.
Peinlich. Ob er ihr besser nicht die Hand gibt und sie vielleicht gleich in den Arm nehmen soll?
Dann merkt sie die feuchen Hände vielleicht gar nicht.
Oh Gott!
- Hoffentlich riecht er nicht nach Schweiß.
Es ist Sommer, warm draußen, und er hat das Gefühl, in seiner Jacke zu verdampfen.
Jetzt ist das vordere Ende des Zugs erreicht. Keine blonde Schönheit in Sicht. Sie ist nicht da!
Ich wußte es ja, sie kommt gar nicht erst!
Er ist völlig verzweifelt, bleibt stehen und schaut sich um.

Da zupft ihn jemand an der Jacke. "Bist du Gerhard?".
Er dreht sich um, sieht im ersten Moment niemanden und senkt dann seinen Blick.
Da steht eine Frau , 10 cm kleiner als er, blonde ausgeblichene Dauerwelle.
Mehr sieht er nicht, bis sie ihn ansieht, graue Augen hinter Brillengläsern.
Gerhard schluckt. "Ich bin Berta" sagt sie leise.
Er schluckt nochmal, schluckt all die Illusionen und Bilder hinunter und sagt : "Hallo".
Auf dem Weg zur U-Bahn sieht er sie verstohlen von der Seite an. Sie ist so unscheinbar.
Gut , daß er nur zwei Tage in Frankfurt bleibt, die wird er schon irgendwie überstehen.
Verlegen schweigend bringen sie seine Reisetasche ins Hotel und gehen in ein Café in der Nähe.
Jetzt sitzen sie sich gegenüber und Gerhard der alte Chatter kann es kaum vermeiden, sie anzusehen.
Sein Mädchen Berta, das so witzig und intelligent mit ihm im Chat geflirtet hat - das soll diese kleine graue Maus sein?
Sie rührt aufgeregt in ihrem Kaffee.

Dann schaut sie auf und ihm direkt in die Augen. "Du bist enttäuscht" stellt sie fest und senkt den Blick nicht wieder.
Irgendwie ist ihm das unangenehm.
"Nein, nein" beeilt er sich zu sagen, aber er hört selbst, daß es nicht ehrlich klingt.
Sie hört es auch.
Vor lauter Verlegenheit beginnt er zu erzählen, über sich, seinen früheren Job, seine Freunde ,
Über das Internet, über seine Nachbarin Christina und über seine kleinen und grossen Sorgen.
Sie hört zu, sie hört richtig zu und ihre Bemerkungen sind nie oberflächlich. Als ihm das klar wird, stockt er und schaut sie wieder an. Sie gefällt ihm schon besser, irgendwie.
Und sie lächelt ganz sympathisch. Er bittet sie, von sich zu erzählen und das tut sie auch.
Er merkt, daß er ihr gerne zuhört . Sie ist ehrlich .

Als Gerhard Sonntags im Zug nach Hause sitzt, hat er nicht die große Liebe gefunden, die er sich erhofft hat.
Keine Traumfrau, mit der er seine Freunde beeindrucken kann.
Aber eine gute Freundin, die zuhören kann und die ihn versteht .
Gerhard lächelt , er mag Berta sehr !

Richtig gute Freunde findet man selten und Gerhard fährt immer wieder nach Frankfurt um seine Berta zu treffen ! Er hat sie lieb gewonnen und ihr Essen schmeckt auch immer gut .
So , das waren meine kleinen Geschichten über Gerhard (*Gerhard46* ).